Rede von Bundespräsident Heinz Fischer im Wiener Konzerthaus
Eure Heiligkeit!
Ihr Besuch in Österreich ist an seiner letzten Station vor der Heimreise angelangt. Sie haben in den vergangenen zweieinhalb Tagen ein außerordentlich dichtes Programm absolviert. Sie haben außerhalb Wiens Mariazell und Heiligenkreuz besucht und zu vielen Menschen gesprochen.
Einen besonderen Höhepunkt Ihres Aufenthaltes bildet nun diese Begegnung mit ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gemeinnütziger und kirchlicher Einrichtungen - hier im festlichen Großen Saal des Wiener Konzerthauses.
Meines Wissens war es der Wunsch Eurer Heiligkeit, diese Begegnung zu einem Teil Ihres Österreich-Besuches zu machen. In diesem Sinn sind alle hier Anwesenden, die ich nochmals mit großer Freude begrüße, auch Ihre Gäste. Dafür darf ich mich im Einvernehmen mit seiner Eminenz Kardinal Dr. Schönborn sehr herzlich bedanken.
Es ist kein Zufall, dass diese Begegnung in einem der bedeutendsten Konzertsäle Österreichs stattfindet. Zwar bin ich mir bewusst, dass in dieser Stunde der Aspekt der Nächstenliebe, der karitative Aspekt und der soziale Aspekt im Zuge ehrenamtlicher Tätigkeiten im Vordergrund stehen; aber wir wissen auch um die Wertschätzung Eurer Heiligkeit für Musik Bescheid. Daher haben wir die Begegnung mit ehrenamtlich tätigen Idealisten mit einer Begegnung mit der Kunst von Wolfgang Amadeus Mozart und Anton Bruckner verbunden, und ich bedanke mich auch bei allen Mitwirkenden.
Eure Heiligkeit! Hochgeschätzte Anwesende!
Ich glaube sagen zu dürfen, dass Österreich ein Sozialstaat ist. Daran haben Generationen von Frauen und Männern gearbeitet. Es gibt eine hochentwickelte Sozialgesetzgebung. Es gibt eine überparteiliche Gewerkschaftsbewegung, und es gibt das Phänomen der Sozialpartnerschaft. Wir haben im internationalen Vergleich ein sehr hohes Pro-Kopf-Einkommen und derzeit erfreulicherweise eine sinkende Arbeitslosigkeit. Und dennoch ist das nur ein Teil jener Wirklichkeit, mit der wir uns beschäftigen müssen.
Ein anderer Teil der Wirklichkeit, vor dem wir nicht die Augen verschließen dürfen, ist, dass die Einkommens- und Vermögensverteilung in Europa - auch in Österreich - wachsender Kritik ausgesetzt ist, und dass es auch in relativ reichen Ländern Armut und Not, ja sogar verzweifelte Lebenssituationen gibt. Dazu kommt, dass auch das beste Sozialsystem nicht in jeder denkbaren Lebenssituation Abhilfe schaffen kann.
Es gibt Unfälle und Katastrophen. Es gibt Behinderungen der verschiedensten Art. Es gibt die Einsamkeit und Hilfsbedürftigkeit alter Menschen. Es gibt Alleinerziehende, denen es schwerfällt, Kinder und Beruf auf einen guten, gemeinsamen Nenner zu bringen. Es gibt Flüchtlinge und Asylsuchende, von denen sich manche nur schwer zurechtfinden. Es gibt Situationen, die wir uns gar nicht wirklich ausmalen können.
Ich erwähne und würdige daher ausdrücklich und dankbar die hervorragende Arbeit all jener, die als Beruf und aus Berufung in all jenen Bereichen tätig sind, die ich soeben erwähnt habe: von den Kindergärten über Spitäler bis zu den Pensionistenheimen.
Und dennoch wäre unsere Gesellschaft um vieles ärmer und um vieles kälter, wenn wir nicht den Idealismus und die Opferbereitschaft jener vielen Männer und Frauen hätten, die darüber hinaus auf freiwilliger Basis und ehrenamtlich tätig sind, um dem Prinzip der Menschlichkeit und Menschenliebe zu dienen.
Sie tun das in den verschiedensten Bereichen und mit den unterschiedlichsten Kenntnissen und Fähigkeiten. Sie tun es Tag für Tag und Jahr für Jahr in den großen Städten und in den kleinsten Gemeinden. Sie tun es oft über die Grenzen des Landes hinaus.
Würde man versuchen, den materiellen Wert dieser Hilfeleistungen auszurechnen, man würde auf unvorstellbar große Summen kommen. Aber darum geht es gar nicht in erster Linie. Das Wesentliche ist der Idealismus, die Hilfsbereitschaft, die Nächstenliebe, die Solidarität, die Verantwortung für den Mitmenschen, die Freiwilligkeit. Und ich möchte noch hinzufügen, dass Menschlichkeit und Brüderlichkeit nicht an nationale Grenzen gebunden sind.
Jene, die aus Idealismus helfen, sehen in erster Linie die Not eines Mitmenschen und nicht in erster Linie die Nationalität eines Mitmenschen.
Eure Heiligkeit!
Mit vielen Österreicherinnen und Österreichern teile ich den großen Respekt für das Ehrenamt und die Dankbarkeit für Hilfsbereitschaft. Daher freut es mich, dass ich in diesem außergewöhnlichen Rahmen und in Anwesenheit Eurer Heiligkeit Worte des aufrichtigen Dankes sagen kann.
Worte des Dankes an alle, die sich um Alte, Kranke, Obdachlose oder Hilfsbedürftige kümmern, die im Katastrophenfall Hilfe leisten und den Nachbar in Not nicht vergessen. Dieser Dank gilt sowohl jenen, die heute stellvertretend anwesend sind, als auch jenen, die heute nicht anwesend sein können - vielleicht sogar deshalb, weil sie sich gerade im Einsatz befinden.
Ich vertraue darauf, und ich bin sicher, dass unsere Jugend die Stafette des Ehrenamtes aufnehmen und weitertragen wird.
Ich bedanke mich!