Der geistliche Weg zum Papstbesuch
ZUSAMMENFASSUNG
Das 850jährige Jubiläum des Heiligtums von Mariazell ist eingebettet in ein Jahr vielfältiger kirchlicher Ereignisse und verschiedener Schritte der Vorbereitung. Die Texte des Lukas, Evangelium und Apostelgeschichte, begleiten das Jahr 2007. Vom Fest Maria Empfängnis am 8. Dezember bis zum Patroziniumstag von Mariazell, dem Fest Maria Geburt am 8. September wird in Vorbereitung auf das gemeinsame Feiern mit dem Heiligen Vater eine sogenannte "große Novene" gebetet. Über neun Monate - wie eine Schwangerschaft - erstreckt sich der spirituelle Vorbereitungsweg, der unter anderem anhand ausgewählter Lesungen aus dem Lukas-Evangelium der spirituellen Vertiefung dienen soll. Das abschließende, immer wiederkehrende Gebet stammt aus der Enzyklika "Deus caritas est" von Papst Benedikt XVI. Es fügt sich mit seiner Bitte an Maria, "Zeige uns Jesus", gut zum Motto des Papstbesuchs, "Auf Christus schauen". Unter dem Titel "Ihr werdet meine Zeugen sein" wurden mehrere Reihen von Predigtimpulsen sowie Vorlagen für monatliche Andachten zur Verfügung gestellt. PfarrgemeinderätInnen aus allen Diözesen übergaben bei einer Romreise im Februar 2007 die "Apostelgeschichte der Gegenwart" als Vorbereitung seines Österreichbesuchs an Papst Benedikt. Alle Pfarren Österreichs waren eingeladen gewesen, ihren Weg der letzten Jahre als lokale Fortsetzung der Apostelgeschichte zu betrachten und aufzuschreiben. Unter dem Motto "Lebensräume gestalten - Glaubensräume öffnen" wurde am 18. März 2007 in ganz Österreich der Pfarrgemeinderat für die Jahre 2007 bis 2012 gewählt. VertreterInnen werden am 8. September durch den Heiligen Vater gesegnet und erhalten eine Ausgabe des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte mit freien Blättern als Zeichen ihres Auftrages, Apostelgeschichte heute weiterzuschreiben. "Aufbrechen", wie es im Logo des Mariazell-Jubiläums steht, bleibt so ständige Herausforderung für die Kirche, um das lukanische Wort immer neu zu verstehen: Gott ereignet sich heute.
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Heute. Ja, heute. Im Jahr 2007 lesen wir das Evangelium nach Lukas. Evangelium nach Lukas heißt: Gott ereignet sich heute.
Am Anfang der kirchlichen Ereignisse des Jahres 2007 steht eine Vielfalt, so wie Kirche eben ist: Das Heiligtum von Mariazell feiert 850jähriges Jubiläum. Papst Benedikt XVI. sagt zu, aus diesem Anlass selbst als Wallfahrer zu kommen. Eine Erinnerung an die Botschaften des Mitteleuropäischen Katholikentages von 2004 legt sich nahe. Zugleich stehen die Pfarrgemeinderatswahlen an. - Wie passt das alles zusammen?
Die Texte des Lukas (Evangelium und Apostelgeschichte) begleiten das Jahr 2007. Es ist das Evangelium, das alles zusammenhält. Ich verkünde euch eine große Freude (Lk 2, 10): Gott ereignet sich heute.
In ersten Texten zu Mariazell 2007 nehmen die österreichischen Bischöfe Bezug auf die Apostelgeschichte, wo es im 1. Kapitel heisst, die Apostel, die Frauen, Maria, die Brüder gingen in das Obergemach hinauf und verharrten dort einmütig im Gebet (vgl. Apg 1, 13f). Was bedeutet heute dieser „eine Mut", der in der Apostelgeschichte alle versammelt und zusammenhält? Wie passt die österreichische Kirche „noch" zusammen in ihrer vielfältigen Gegensätzlichkeit und wie passt die Kirche „wieder" in das Heute angesichts vieler ungelöster Fragen? - So seufzt manche und mancher: Ach! Und schon sind wir beim Heiligen Geist, der für uns eintritt, wie Paulus schreibt, mit unaussprechlichem Seufzen, denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen (vgl. Röm 8, 26).
Wer sein Herz aufmacht für das Ereignis Gottes heute, wird aufbrechen, wie es im Logo für das Mariazell-Jubiläum steht. Zieh weg in das Land, das ich dir zeigen werde, sagt Gott zu Abram am Beginn der Geschichte (vgl. Gen 12, 1). Exodus, Auszug - ein biblisches Grundmotiv für das Dasein des Menschen.
So viele Menschen in unserem Land, in ganz Europa, auf der ganzen Welt brechen auf. Flüchtlinge und MigrantInnen suchen Sicherheit und menschenwürdige Lebenschancen. WallfahrerInnen und PilgerInnen suchen Sinn und Segen. Alle treibt die Sehnsucht nach der Verwandlung ihres Lebens.
Es ist auch unsere Geschichte: Mein Vater war ein heimatloser Aramäer ... (vgl. Dtn 26, 5). Denn wir haben hier keine Stadt, die bestehen bleibt, sondern wir suchen die künftige (Hebr 13, 14). Auch als Kirche sollen wir uns herausführen lassen aus der Gefangenschaft zwischen dem „noch", das deprimierend das Vergehen des Gewohnten ansagt, und dem „wieder", das aggressiv die Zukunft mit Bildern vergangener Mächtigkeit verstellt.
Es geht um ein neues Verstehen, dass Gott sich heute ereignet, auch abseits kirchlichen Agierens. Gott ist schon immer bei den Menschen. Der geistliche Weg zum Verstehen, was das Evangelium heute bedeutet, führt direkt ins aufmerksame Gespräch mit den Menschen, deren Leben Gott trägt und durchkreuzt. Darin wird Kirche neu.
Das Signal zum Aufbruch geben die österreichischen Bischöfe mit ihrem gemeinsamen Hirtenwort zum 1. Adventsonntag 2006:
Daher laden wir österreichischen Bischöfe zum großen Patroziniumsfest und Jubiläum von Mariazell am 8. September 2007 Pilger aus möglichst allen Lebensaltern und Lebensverhältnissen, besonders die Mitglieder der neuen Pfarrgemeinderäte ein, damit sie dort Segen und neue Sendung empfangen.
Im Textentwurf findet sich die Formulierung:
So laden wir Erzbischöfe und Bischöfe Österreichs alle Gläubigen ein, an den Lebensräumen des Glaubens mitzubauen und eine neue Freude am Christsein zu wecken. Dazu sind wir angewiesen auf die Hilfe Gottes. Die Verkündigung des Evangeliums in unserer Welt ist anders geworden, weil diese „ganz von uns selber gemacht ist und sozusagen Gott in ihr nicht mehr direkt vorkommt ... Die Menschen haben sich die Welt selber rekonstruiert, und ihn dahinter noch zu finden, ist schwierig geworden." (Papst Benedikt XVI.)1. Es gilt, neue Suchbewegungen und ein neues „Aufbrechen" (Motto des Patroziniums von Mariazell 2007) zum Glauben miteinander zu wagen.
Mit diesem Tag beginnt ein Vorbereitungsweg, der sich - wie eine Schwangerschaft - über neun Monate erstreckt. Als Wegbegleiter werden unter dem Titel „Ihr werdet meine Zeugen sein" mehrere Reihen von Predigtimpulsen sowie Vorlagen für monatliche Andachten zur Verfügung gestellt.
Unter dem Motto „Lebensräume gestalten - Glaubensräume öffnen" werden am 18. März 2007 in ganz Österreich über 28.000 Personen als Pfarrgemeinderäte für die Jahre 2007 bis 2012 gewählt. Der Wahlvorgang fügt sich gut in das Projekt des Aufbrechens, da er die Pfarren alle fünf Jahre genau zu diesem Wagnis herausfordert. Die Wahl stellt die Frage, wer bereit ist, sich für die nächsten fünf Jahre einzusetzen und wer bereit ist, sich durch die Stimmabgabe hinter dieses Engagement zu stellen. Mit dem Wahlvorgang bleiben die Pfarren innerhalb einer demokratisch verfassten Gesellschaft anschlussfähig. Es bleibt eine Versuchung, dieser Prüfung auszuweichen, selbst zu wissen, wer „die Richtigen" für die anstehenden Aufgaben sind. Es gilt aber dem Heiligen Geist eine Lücke offen halten mitten im festen Gefüge der gutgemeinten Pläne. Tiefer betrachtet bietet die Wahl eine zeitgemäße Chance auf das zu hören, was der Geist den Gemeinden sagen will.
Vor der Neuwahl werden die Pfarrgemeinderäte eingeladen, ihren Weg der Jahre 2002 bis 2007 als lokale Fortsetzung der Apostelgeschichte zu betrachten und aufzuschreiben. Daraus entstehen vier Bände mit 656 solcher „Apostelgeschichten der Gegenwart", unzensiert und so unterschiedlich wie die Pfarren selbst. Pfarrgemeinderats-VertreterInnen aus allen Diözesen übergeben diese Bücher im Rahmen einer Romreise im Februar 2007 Papst Benedikt als Vorbereitung seines Österreichbesuchs: ein historischer Moment, quasi ein erster „ad-limina-Besuch" von Laien, deren freiwilliges Engagement und deren Mitverantwortung gewachsen ist.
Papst Benedikt lässt durch ein Schreiben von Erzbischof Sandri seinen Dank aussprechen an die beteiligten Pfarrgemeinderäte, die ihm durch die vielfältig und interessant gestalteten Berichte und Reflexionen tieferen Einblick in das rege Leben der österreichischen Pfarren mit all seinen Freuden und Herausforderungen geben wollten. Der Heilige Vater bittet den Allmächtigen Gott, die Pfarrgemeinderäte und alle getauften Christen in ihrem missionarischen Wirken als „Apostel in unserer Zeit" mit Seiner Gnade zu stärken. (Erzbischof Leonardo Sandri, Substitut des Staatssekretariates, Brief an Bischof Egon Kappellari vom 15. März 2007, N. 46.700)
Am 8. September werden die neugewählten Pfarrgemeinderäte durch Papst Benedikt für ihren Dienst gesegnet. Sie erhalten eine Ausgabe des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte mit freien Blättern als Zeichen ihres Auftrages, Apostelgeschichte heute weiterzuschreiben.
Von Anfang an sind die neun Monate der Vorbereitung als „große Novene" konzipiert. Der Gebetsfalter erreicht eine Auflage von mehreren hunderttausend. Die ausgewählten Lesungen geben die „Heute-Worte" bei Lukas wieder, praktische Impulse gehen der Frage nach, was Verkündigung heute bedeutet:
Lasse ich mir das Herz öffnen für diese Zeit und ihre Menschen, sodass ich Gottes Anwesenheit wahrnehmen kann? Vermag ich mit Aufmerksamkeit und Respekt in ein Gespräch einzutreten? Bin ich fähig Glaubensräume zu öffnen, weil ich Worte habe für meinen Glauben? Wo erweist sich mein Glaube als heilsam angesichts von Schuld, Leid und Elend? Kann ich die Sorge um die Kirche in Gottes Hand legen zugunsten der Sorge um Gottes Reich? Übe ich Widerstand, wo gegen die Würde der Geschöpfe gehandelt wird? Wie steht es um meine Gastfreundschaft? Kann ich dankbar sein für den Wohlstand und ist er mir Auftrag zum Teilen?
Wie soll das geschehen? Das führt uns zu Maria, die dem Engel bei der Verkündigung diese Frage stellt (Lk 1, 34). Wir sehen, Verkündigung ist Gespräch, vorangetrieben vom Wechselspiel der Zusage und der Frage. Wie sollen wir heute verkünden, wie sollen wir Lebensräume aus dem Evangelium gestalten, sodass sie sich als Glaubensräume öffnen? - Man könnte hier Petrus zitieren: nicht aus eigener Kraft und Frömmigkeit können wir das bewirken (vgl. Apg 3, 12). - Aber bleiben wir bei Maria, die im Magnificat (Lk 1, 46-55) selbst Ansagerin des grundlegenden Wandels ist.
In seiner ersten Enzyklika schreibt Papst Benedikt: ,,Magnificat anima mea Dominum'', sagt Maria bei Elisabeth - ,,Meine Seele macht den Herrn groß'' - (Lk 1, 46) und drückt damit das ganze Programm ihres Lebens aus: nicht sich in den Mittelpunkt stellen, sondern Raum schaffen für Gott, dem sie sowohl im Gebet als auch im Dienst am Nächsten begegnet - nur dann wird die Welt gut.(Deus Caritas Est 41) Im abschließenden Gebet - Teil der Großen Novene - bittet Papst Benedikt: Zeige uns Jesus. - Was passt besser zu Mariazell, wo die enthüllte Gnadenstatue uns eine Maria zeigt, die verschmitzt lächelnd auf Jesus deutet mit dem Finger ihrer ziemlich großen Hand, damit es jede und jeder versteht.
„Auf Christus schauen" ist die Überschrift, die über dem Besuch von Papst Benedikt in Österreich steht. Durch den Heiligen Geist ist Gottes Liebe, ist Gott selbst Mensch geworden in Jesus Christus - für dich und mich, für alle. Schau hin und halt den Atem an. Hör, wie er sagt: Du. - Wie sollten wir Christinnen und Christen sein, wenn wir Ihn nicht in den Mittelpunkt stellen? Jede und jeder wird anderes wahrnehmen in diesem Schauen und Du-Sagen, selbst der Papst lässt sich widersprechen vor diesem Angesicht (vgl. Joseph Ratzinger - Benedikt XVI., Jesus Christus, Freiburg 2007, 22). Suchen wir gemeinsam das Angesicht Jesu, schauen wir gemeinsam auf Christus, den Auferstandenen. Bringen wir die Anliegen der Menschen vor dieses Angesicht, in sein Licht, damit auch wir selbst wahrhaft Liebende und Quelle lebendigen Wassers werden können inmitten einer dürstenden Welt. (Deus Caritas Est 42) Wer zu Gott geht, geht nicht weg von den Menschen, sondern wird ihnen erst wirklich nahe (Deus Caritas Est 42). Gott ereignet sich. Heute.
Dr. Wolfgang Müller
Seelsorgeamt Salzburg
Pfarrgemeinderats-Verantwortlicher