Situation der Diözese Graz-Seckau
ZUSAMMENFASSUNG
Die Diözese Graz-Seckau ist beinahe deckungsgleich mit dem Bundesland Steiermark. Der geographischen Ausdehnung nach ist sie die größte österreichische Diözese, der Katholikenzahl nach die drittgrößte (nach Wien und Linz). 78,02 % der SteirerInnen sind katholisch. Das Land ist geprägt von den alten Industriezonen - heute ist die Steiermark vor allem als Thermenregion bekannt. 2003 war Graz, Landeshauptstadt der Steiermark, Europäische Kulturhauptstadt. Die Bevölkerung nimmt trotz Zuwanderung kontinuierlich ab und viele Menschen sind aus Mangel an Arbeitsplätzen gezwungen zu pendeln. Die katholische Kirche nimmt die besondere Herausforderung an, an der Grenze und in der Nähe neuer EU-Staaten zu liegen. Vor allem der „Mitteleuropäische Katholikentag" 2004 bot die Gelegenheit, Kontakte zu vertiefen. Angesichts vieler Veränderungen in der Gesellschaft und in der Kirche werden auf diözesaner Ebene Leitlinien für die Seelsorge für die nächsten Jahre formuliert. Belebt durch den Dialog möchte die Kirche Sakrament der Einheit sein, die ihre Schwerpunkte in der Mission, der Ökumene und dem Dienst am Nächsten sieht.
_________________________________________________________________
Statistische Daten
Die Diözese Graz-Seckau ist geographisch fast deckungsgleich mit der Steiermark, dem mit 16.387 km2 zweitgrößten Bundesland der Republik Österreich. Der Bevölkerung nach nimmt die Steiermark aber nur den vierten Rang unter den österreichischen Bundesländern ein: insgesamt leben in der Steiermark derzeit 1,151.678 Menschen (Angaben Ende 2006). Der geographischen Ausdehnung nach ist die Diözese Graz-Seckau die größte österreichische Diözese, der Katholikenzahl nach - 898.591 (Stichtag 31.12.2006) - die drittgrößte (nach Wien und Linz): 78,02 % der Steirerinnen und Steirer bekennen sich zur katholischen Kirche. Die Bevölkerung der Steiermark nimmt seit zehn Jahren kontinuierlich ab: zwar sind relativ viele Flüchtlinge - vor allem aus dem ehemaligen Jugoslawien - im letzten Jahrzehnt zugezogen, zugleich gibt es aber auch eine Abwanderung von Steirern aus den ehemaligen Industriezonen in der Obersteiermark (Bergbau, Eisen- und Stahlindustrie), die in einigen Bezirken sehr merkbar ist. Die Zuwanderer sind zu einem Teile katholisch (Kroaten), viele gehören orthodoxen Kirchen an (Serben und Rumänen) und ein deutlich zunehmender Teil ist muslimisch (aus Bosnien, dem Kosovo, Albanien und aus der Türkei.
Soziale, wirtschaftliche und kulturelle Aspekte
Das Land ist seinen Zonen nach vielfältig: im Norden - in der Obersteiermark - spielt der Tourismus eine große Rolle. Die alte Industriezone in der Mur-Mürzfurche hat den größten Bevölkerungsverlust zu verkraften: Die Oststeiermark ist in einem großen wirtschaftlichen Umbruch: aus diesen Bereichen sind sehr viele Menschen zu Pendlern - vor allem nach Wien und Graz - geworden; ein neuer - sich auf alle Bereiche auswirkender - Wirtschaftszweig ist in der Thermenregion entstanden. Die Weststeiermark teilt sowohl das Schicksal der obersteirischen Industriezone als auch die Umbruchssituation der Oststeiermark. Der Bezirk Graz-Umgebung ist das bevölkerungsmäßig am stärksten wachsende Gebiet des Landes.
Graz, als Landeshauptstadt politisches Zentrum und der Sitz des Bischofs, hat in den letzten Jahren wirtschaftlich sehr vom Ausbau und der Ansiedlung einer Auto-Industrie profitiert. Graz war im Jahr 2003 europäische Kulturhauptstadt. Bei der Bewerbung für die Wahl dazu haben u.a. auch die 1997 in Graz abgehaltene II. Europäische Ökumenische Versammlung und die Ernennung der Grazer Altstadt zum Weltkulturerbe eine Rolle gespielt. Graz konnte diese Chance gut nutzen. Die katholische Kirche hat in ökumenischer Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche die Kulturhauptstadt mit eigenen Initiativen bereichert. Die beiden größten Städte - Graz und Leoben - sind Standorte international renommierter Universitäten, Hochschulen und Forschungsstätten.
Die Steiermark nimmt die Herausforderung, an der Grenze und in der Nähe neuer EU-Staaten zu liegen, auch kulturell wahr, und die Kirche gibt dazu Impulse und ist selbst initiativ: der „Mitteleuropäische Katholikentag" mit der abschließenden „Wallfahrt der Völker" im Mai 2004 in Mariazell hat Gelegenheit geboten, alte Kontakte zu anderen Staaten zu verstärken und neue zu knüpfen: vor allem durch Pfarrpartnerschaften, die zum Teil schon in der kommunistischen Zeit, meist geheim und diskret angebahnt wurden. Dadurch ist ein geistlicher, geistiger und kultureller Austausch zwischen den Völkern und Ortskirchen möglich, es wurde und wird den Nachbarn aber auch wirtschaftlich viel geholfen. Eine eigene Aufgabe nimmt in diesem Zusammenhang das bischöfliche Schloss Seggau bei Leibnitz wahr: seit 2005 findet dort - veranstaltet vom Land Steiermark mit starker inhaltlicher Hilfe durch die Diözese - ein Dialogforum von europäischer Dimension statt: der „Pfingst-Dialog Steiermark: Geist & Gegenwart.". Seit 2006 ist dieses Bildungszentrum der Diözese der Ort einer Interrnationalen Sommeruniversität, zu der vor allem Studierende aus dem Südosten Europas geladen sind.
Pastorale Herausforderungen
Angesichts vieler Veränderungen in der Gesellschaft und in der Kirche läuft seit Jahren in allen Dekanaten und auf Diözesanebene ein Gespräch, um konsensual „Leitlinien für die Seelsorge" für die nächsten Jahre zu formulieren. Ausgangspunkt war eine nüchterne Bestandsaufnahme - sowohl des Wandels in der Gesellschaft als auch der Defizite in der Glaubensvermittlung und im Glaubenswissen, aber auch der vorhandenen Ressourcen und Charismen in der Diözese. Die Diözese sieht für die Diözese folgende „Kernziele für die Seelsorge":
- Missionarische Kirche
Die katholische Kirche in der Steiermark wendet sich als missionarische und einladende Kirche sowohl an die Kirchenmitglieder, deren Gemeinschaft mit Jesus Christus vertieft und deren Glaubenswissen intensiviert werden muss; als auch an Menschen in glaubens- und kirchenfernen Milieus, auf die sie aktiv zugeht und auf deren vielfältige Fragen nach dem Sinn des Lebens sie achtet.
-
Sakrament der Einheit
Zentral für ihre Sendung als Zeichen und Werkzeug für die Einheit ist die Feier der Liturgie und der heiligen Sakramente, besonders die sonntägliche Versammlung zur Eucharistiefeier. Sichtbar wird diese Einheit vor allem in Pfarrgemeinden. Den Lebensstilen der Menschen entsprechend gibt es darüber hinaus auch kategoriale Formen kirchlichen Lebens. Die seelsorgliche Verantwortung wird kooperativ wahrgenommen: in der Zusammenarbeit von Bischöfen, Priestern, Diakonen und haupt- und ehrenamtlich tätigen Laien. Von großer Bedeutung für das kirchliche Leben ist das ehrenamtliche Engagement der Gläubigen an den vielfältigen Orten ihres Lebens. Diese ehrenamtliche Wirksamkeit zu ermöglichen und zu fördern gehört zu den zentralen Aufgaben der hauptamtlichen Amtsträger und pastoralen Mitarbeiterinnern und Mitarbeiter, Religionslehrerinnen und Religionslehrer.
- Dienende Kirche
Die katholische Kirche in der Steiermark leistet ihren Auftrag als dienende Kirche für Benachteiligte und Schwache im eigenen Umfeld und in anderen Ländern - besonders durch die caritative Hilfe Ehrenamtlicher in den Pfarren und durch die diözesane Caritas. Die Katholische Kirche nimmt ihre Verantwortung darüber hinaus auch für das öffentliche Leben wahr. Die Herausforderungen der Gegenwart verpflichten die Kirche und in ihr vor allem die Laien zu einem Engagement in Kultur, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Familie.
- Ökumenische, dialogische und weltoffene Kirche
Die katholische Kirche in der Steiermark bemüht sich im Geist der Ökumene um ein gutes Miteinander mit Christen anderer Konfessionen und hält guten Kontakt zu Angehörigen anderer Religionen und Weltanschauungen. Die Wahrung ihrer katholischen Identität ist Voraussetzung für einen fruchtbaren Dialog. Als Kirche in einem Land an einer Sprachgrenze pflegen wir gute Nachbarschaft zu den anderen Diözesen und Ländern und fördern die Versöhnung und die Solidarität in Europa und weltweit.
Konkreter und kürzer zusammengefasst sind die pastoralen Ziele in der Botschaft der Bischöfe bei der "Wallfahrt der Völker" anlässlich des Mitteleuropäischen Katholikentages 2004 in Mariazell vorgetragen worden. Diese sieben Bitten der Bischöfe wurden und werden seitdem in vielen Gremien und in den Pfarren für den pastoralen Alltag weiter bedacht:
- Den Menschen Christus zeigen
- Beten lernen und beten lehren
- Das Glaubenswissen vermehren und vertiefen
- Zeichen setzen
- Die Sonntagskultur bewahren
- Leben schützen und entfalten
- Die Solidarität in Europa und weltweit fördern
Pastorale Aktionen und Vorhaben
Seelsorge braucht persönliche Beziehungen. Es wird schwerer, solche Kontakte aufzunehmen. Die Anonymität in den Städten wird von manchen als Vorteil empfunden („Stadtluft macht frei"), viele leiden aber darunter. Die Diözese fördert darum in medial gut begleiteten Aktionen - auch über ihren eigenen Printmedien und Kircheninformationen („Kirche.konkret) - Hausbesuche durch pfarrliche haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter. Zur Jahrtausendwende wurden fast alle Haushalte in der Steiermark durch pfarrliche ""Boten" unter dem Motto 2Grüß Gott 2000" besucht (s. auch Artikel in Osservatore Romano, tägliche Ausgabe 7./8. Jänner 2000). Im Jahr 2006 wurden wieder viele Haushalte kontaktiert, wobei, um auf die Bedeutung des Sonntags aufmerksam zu machen, ein kleiner Tischleuchter - das "Sonntagslicht" - und ein Heft mit Anregungen für eine Sonntagskultur in den Häusern überreicht wurden. In der Landeshauptstadt Graz hat die katholische Stadtkirche mit der Aktion "Sonntagslicht" eine Stadtmission unter dem Titel "Grüß Gott Graz" begonnen. In mehreren Städten und Pfarren gibt es ähnliche missionarische Schritte. Der Mitteleuropäische Katholikentag hat den Steirern ermöglicht, Katholizität über Sprachgrenzen hinweg einzuüben und zu erfahren. Viele steirische Pfarren pflegen seit 1989 Partnerschaften zu kirchlichen Gemeinden in Kroatien, Rumänien, Ungarn und Albanien.
Einige Pfarren stehen - unterstützt durch das "Welthaus" der Diözese - in regem Austausch mit afrikanischen, brasilianischen, indischen und koreanischen Gemeinden. Zu beobachten ist eine Renaissance der "Wallfahrt": sowohl zu den alten Wallfahrtsstätten im In- und Ausland, als auch zu neuen Zielen und auf neuen Wegen. Gemeinsam mit politischen Vertretern der Regionen und der Tourismuswirtschaft ist die Diözese bestrebt, diesen Trend zu fördern und inhaltlich zu begleiten. Die pastoralen Leitlinien mit ihren "Kernzielen" und die Mariazeller Botschaft vom Mitteleuropäischen Katholikentag 2004 haben für die Diözese Graz-Seckau den Charakter eines Pastoralplanes und wurden in vielen Zusammenkünften auf allen Ebenen bedacht und besprochen.
Vorangige pastorale Ziele für die Zukunft
Die Aufgabe, wieder eine einladende Kirche zu werden, steht auch in der kommenden Zeit voran. Die große Zahl von Austritten aus der Kirche ist eine pastorale Wunde und veranlasst die Verantwortlichen im Pastoralamt, nach Wegen zu suchen, die die Kirchenbindung bei Menschen, die sich der Kirche entfremdet haben, verstärken können. Für die Jugendseelsorge sind neue Wege nötig: das richtige Maß zwischen Eventkultur und nachhaltigem pastoralen Dienst ist erst noch zu finden. - Unsere älter werdende Gesellschaft verlangt eine neue Gewichtung der Pastoral an alten Menschen, wobei die Vielfalt der Möglichkeiten und Erfordernisse erkannt werden muss - von der Chance, älteren Menschen, die rüstig sind und aktiv sein wollen, in der Kirche ein interessantes Betätigungsfeld zu eröffnen bis hin zur Pflege von sehr alten und kranken Menschen, und die Sterbebegleitung.
Einige Pfarren betätigen sich sehr in der Hospizbewegung. Eine neue Herausforderung stellen die Wandlungen in der Begräbniskultur dar. Die seelsorgliche Begleitung für Menschen, die einen Trauerfall zu beklagen haben, und eine würdige und einfühlsame Feier des Begräbnisses werden in Zukunft eine besondere pastorale Aufgabe sein. Gegen einen Trend zum Rückzug in den geschützten Raum von Pfarren und Gemeinden müssen Anstrengungen unternommen werden, auch auf die „Areopage" unserer Zeit zu gehen - ein Anliegen, das die Stadtseelsorge etwa durch Formen der Passanten-Pastoral aufgreifen muss. Die Nutzung moderner Medien, von den Printmedien bis hin zum Internet, ist dafür hilfreich.
Präl. Dr. Heinrich Schnuderl
Bischofsvikar und Pastoralamtsleiter der Diözese Graz-Seckau