Christlich-Jüdischer Dialog in Österreich
ZUSAMMENFASSUNG
Der Wiener Judenplatz ist ein Brennpunkt der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Wien. Er gibt Zeugnis für deren leidvolle Erfahrung mit ihrer christlichen Umwelt und dokumentiert seit einigen Jahren auch die erneuerte Haltung der Kirchen gegenüber dem Judentum. Jüdisches Leben ist in Wien etwa ab dem Jahr 1200 nachweisbar. Die erste Gemeinde fand 1421 ihr grausames Ende, als 200 Gläubige, die sich einer Zwangstaufe widersetzten, verbrannt wurden. Seit der Zeit der Aufklärung, insbesondere unter Josef II., gab es schrittweise Erleichterungen. Das Staatsgrundgesetz 1867 anerkannte Juden in Österreich erstmals als gleichberechtigte Staatsbürger. Nach der Annexion Österreichs durch Nazideutschland erreichten die antijüdischen Angriffe einen Höhepunkt. Heute sind in Wien über 7000 Mitglieder bei der jüdischen Kultusgemeinde (http://www.ikg-wien.at/) registriert. Der Judenplatz ist ein Ort, an dem vielfältiges jüdisches Leben sichtbar wird. Die lebendige jüdische Gemeinde veranstaltet hier den alljährlichen Chanukka-Markt und das jüdische Straßenfest. Im Misrachihaus am Judenplatz 8 befindet sich auch wieder eine Synagoge. Auf den Grundmauern der mittelalterlichen Synagoge erhebt sich seit dem Jahr 2000 das von der britischen Künstlerin Rachel Whiteread gestaltete Mahnmal für die Opfer der Shoah. Seit über 50 Jahren besteht der "Koordinationsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit", in dem Christinnen und Christen verschiedener Konfessionen und Mitglieder der jüdischen Gemeinde gleichberechtigt zusammenarbeiten. Die vielfältigen Aktivitäten sind auf der website www.christenundjuden.org dokumentiert.
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Der Judenplatz als Ort wechselvoller Geschichte - Zeugnis christlich-jüdischer Erneuerung
Der Judenplatz ist ein Brennpunkt der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Wien. Er gibt Zeugnis für deren leidvolle Erfahrung mit ihrer christlichen Umwelt und dokumentiert seit einigen Jahren auch die erneuerte Haltung der Kirchen gegenüber dem Judentum.
Unter dem Mahnmal für die jüdischen Opfer der Schoah finden sich die Grundmauern der mittelalterlichen Synagoge. Hier starben im Jahr 1421 etwa 200 Jüdinnen und Juden den Märtyrertod, um der Zwangstaufe zu entgehen. Ein Relief auf dem Jordan-Haus Judenplatz 2 aus dem Ende des 15. Jahrhunderts schmäht den Tod der Juden und beschreibt diesen als gerechte Strafe für ihre Sünden. Eine Gedenktafel auf dem Haus Judenplatz 6, 1998 von Kardinal Franz König enthüllt, korrigiert diese böswillige christliche Interpretation. Der Text benennt die Schuld der Christen an der Verfolgung und bittet um Vergebung.
Das Mahnmal für die Opfer der Schoah wurde im Jahr 2000 enthüllt. Das von der britischen Künstlerin Rachel Whiteread gestaltete Werk stellt eine nach außen gestülpte Bibliothek dar und symbolisiert das verloren gegangene jüdische Leben in Wien.
Im Misrachihaus Judenplatz 8 ist mit einer Synagoge jüdisches Leben wieder an den Judenplatz zurückgekehrt. An der Hausmauer erinnert eine Inschrift der jüdischen Gemeinde an die "Gerechten unter den Völkern".
Das Denkmal des Dichters Gotthold Ephraim Lessing, eine Statue des Bildhauers Siegfried Charoux aus dem Jahr 1965, erinnert an den Erzähler der Ringparabel im Stück "Nathan der Weise".
Für die jüdische Gemeinde ist der Judenplatz auch ein Ort, an dem vielfältiges jüdisches Leben heute sichtbar wird: Der alljährliche Chanukka-Markt und das jüdische Straßenfest finden hier statt. Eine lebendige jüdische Gemeinde ist nach all dem Schrecken der Geschichte heute auch für die Kirchen ein Grund zur Freude: "Wir sind dankbar, dass ... die Zahl jüdischer Gemeinden in vielen Ländern Europas wächst", sagten sie 1997 im Schlussdokument der Zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Graz.
Jüdische Gemeinde
Jüdisches Leben ist in Wien etwa ab dem Jahr 1200 nachweisbar. Die erste Gemeinde fand 1421 ihr grausames Ende, als 200 Gläubige, die sich einer Zwangstaufe widersetzten, in Erdberg auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Andere schlossen sich in der Synagoge ein, steckten das Gebäude in Brand und starben so zum „Kiddusch Haschem" - zur Heiligung Gottes.
1670 wurden alle Juden Wiens aus dem "Unteren Werd" vertrieben, ihre Synagoge zerstört und auf den Grundmauern die Pfarrkirche St. Leopold errichtet. Im 18. Jahrhundert konnten sich nur einzelne zahlungskräftige Personen mit besonderen Privilegien als "Hofjuden" in Wien aufhalten.
Seit der Zeit der Aufklärung, insbesondere unter Josef II., gab es schrittweise Erleichterungen. Doch erst durch das Staatsgrundgesetz 1867 wurden Juden erstmals in Österreich als gleichberechtigte Staatsbürger anerkannt.
Nach einem Jahrhundert jüdischer Emanzipation häuften sich zwischen den beiden Weltkriegen insbesondere von Deutschnationalen und Nationalsozialisten geschürte antisemitische Ausschreitungen. Auch unter den Christlichsozialen, unter Kirchenvertretern, teilweise auch unter den Sozialdemokraten, war Antisemitismus stark verbreitet.
Nach der Annexion Österreichs durch Nazideutschland erreichten die antijüdischen Angriffe in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 einen Höhepunkt: alle Wiener Synagogen und Bethäuser wurden vernichtet, ein großer Teil der jüdischen Geschäfte wurde geplündert, mehr als 60.000 Juden wurden verhaftet. Bis Ende 1941 gelang mehr als 130.000 jüdischen Menschen die Flucht. Nach der Wannseekonferenz im Januar 1942 fielen die meisten der noch in Wien verbliebenen Juden der Tötungsmaschinerie des NS-Regimes zum Opfer: Von den mehr als 65.000 Wiener Jüdinnen und Juden, die in Konzentrationslager gebracht worden waren, überlebten nur wenig mehr als 2.000.
Zählte die jüdische Gemeinde Wiens vor 1938 noch über 185.000 Personen und war somit eine der größten weltweit, so sind Ende der 1990er Jahre wenig mehr als 7.000 Mitglieder bei der Kultusgemeinde registriert.
Christlich-jüdische Zusammenarbeit
In der Zwischenkriegszeit warnten nur einige wenige Persönlichkeiten - etwa Irene Harand oder Johannes Österreicher - vor der Gefahr des Antisemitismus. Die lutherische Schwedische Mission in der Seegasse bot in den dreißiger Jahren religiöse Vortragsreihen zu christlichen und jüdischen Themen.
Nach dem "Anschluss" verhalfen die Schwedische Mission und die anglikanische Kirche vielen Jüdinnen und Juden zur Emigration. Die "Hilfsstelle für nicht arische Katholiken", die Kardinal Innitzer im erzbischöflichen Palais eingerichtet hatte, blieb während der gesamten Kriegszeit bestehen.
Der 2007 verstorbene Judaist Kurt Schubert nahm mit der Gründung des "Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit" bereits 1956 die Themen der christlich-jüdischen Erneuerung des Zweiten Vatikanischen Konzils vorweg. Zur selben Zeit legte Felix Propper als Pfarrer der Schwedischen Mission den Grundstein zu einem theologischen Verständnis christlich-jüdischer Zusammenarbeit, das von einer Missionierung der Juden Abstand nahm.
Als führende Mitglieder des Katholischen Akademikerverbandes Österreichs hatten sich Prof. Schubert, die Historikerin Erika Weinzierl, Msgr. Otto Mauer und andere für den christlich-jüdischen Dialog eingesetzt: als unersetzliche Aufgabe innerhalb der Kirche (die sich bei der Wiener Diözesansynode 1971 eindringlich damit befasste) und innerhalb der Katholischen Aktion Österreich (KAÖ).
Ausgelöst durch antisemitische Begleiterscheinungen während der "Affäre Waldheim" trieb die KAÖ zwischen 1986 und 1988 mit einer Serie viel beachteter Spitzenbegegnungen "Schalom für Österreich" die christlich-jüdischen Verständigungsbemühungen voran. Ein Arbeitskreis der KAÖ bemühte sich um die Verwurzelung dieses Anliegens an der "Basis", u.a. durch Informationsfalter, um Wissensmängeln und Vorurteilen zu begegnen. Auch auf Grund dieser Anstöße gibt es bis heute in mehreren Diözesen Österreichs regelmäßige christlich-jüdische Begegnungen.
2006 feierte der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit sein 50-jähriges Bestehen. Christinnen und Christen verschiedener Konfessionen und Mitglieder der jüdischen Gemeinde arbeiten hier gleichberechtigt zusammen. Die Quartalsschrift "Dialog-Du Siach" und die Website www.christenundjuden.org präsentieren die vielfältigen Aktivitäten. Ziel der Bemühungen ist es zu verstehen, dass sich der christlich-jüdische Dialog nicht nur nach außen richtet, sondern die Kirchen zutiefst in ihrem Selbstverständnis betrifft: Das jüdische Erbteil ist unaufgebbarer Teil ihrer christlichen Identität.
Fixpunkte im Arbeitsjahr sind der vom Ökumenischen Rat der Kirchen getragene "17. Januar - Tag des Judentums" und der Gedenkgottesdienst „Mechaje Hametim - Der die Toten auferweckt" am 9. November in der Wiener Ruprechtskirche zur Erinnerung an das Novemberpogrom von 1938. Die Pflege christlicher Gräber auf dem jüdischen Friedhof, Zentralfriedhof Tor IV, gehört ebenfalls zum Tätigkeitsfeld des Koordinierungsausschusses.
Dr. Markus Himmelbauer
Geschäftsführer des österreichischen Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit
Unter Mitarbeit von Dr. Paul Schulmeister
Freier Journalist und Präsident des Katholischen Akademikerverbandes Österreichs (KAVÖ)